Damit Eltern und Kinder eine Zukunft haben

Ambulante Hilfen zur Erziehung

Artikel SVZ/Maren Ramünke-Hoefer: Überforderte Eltern, verzweifelte Kinder, Familien in Not – das gibt es auch in Schwerin immer öfter. Das Netz, das sie auffängt, ist groß. Die Kosten für die Hilfen aber auch. Etwa acht Millionen Euro gab die Landeshauptstadt 2021 allein für die sogenannten ambulanten Hilfen zur Erziehung aus, also für die Betreuung von Familien in deren eigenem Zuhause. Nicht nur die Fallzahlen seien gestiegen, auch die Dauer der Hilfeleistungen habe sich verlängert, heißt es aus dem Stadthaus. 1129 Fälle hat der Allgemeine Soziale Dienst in Schwerin im Jahr 2021 bearbeitet. Bis Juni waren es in diesem Jahr schon 937.
Hinter jeder dieser Zahlen steckt ein Schicksal. Geschichten, die den Zuhörer manchmal erschauern lassen. Geschichten, die häufig gut ausgehen. Manchmal aber auch nicht. Eine dieser Geschichten erzählt Heike Gadtsch. Sie ist bei der Awo in Schwerin Leiterin der Ambulanten Hilfen zur Erziehung. Drei Männer und drei Frauen gehören zu ihrem Team, das zeitgleich immer etwa 50 Fälle betreut.
Einer dieser „Fälle“ dreht sich um den dreijährigen Paul (Name von der Redaktion geändert). Seine Mutter nahm schon kurz nach seiner Geburt selbst Kontakt zum Jugendamt auf: Sie sei an ihre Grenzen gestoßen und würde es mit Paul allein nicht mehr schaffen. „Eltern, die von sich aus zum Amt kommen und um Hilfe bitten, sind uns am liebsten“, sagt Gadtsch. Oftmals würden die Kollegen aber auch gerufen, wenn Kitas, Schulen, Verwandte oder Nachbarn eine mögliche Kindeswohlgefährdung gemeldet haben. Dann gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den Familien häufig schwieriger. Darunter leidet vor allem: das Kind. Pauls Mutter probierte mit ihrem Sohn mehrere Hilfsangebote aus: eine Mutter-Kind-Wohngruppe, danach eine Pflegefamilie. Doch der kleine Junge hatte dort solche Sehnsucht nach seiner leiblichen Mutter, dass das Awo-Team einen anderen Weg vorschlug: die Junge-Mütter-WG. Nach einigen Wochen war die Kleinfamilie so stabil, dass sie in ihre eigene Wohnung zurückziehen konnte.
„Alle Fachkräfte haben gesagt: Du kannst das, du wirst das schaffen“, erzählt Heike Gadtsch. „Wenn du als Tochter selbst viele Jahre lang gehört hast, dass du nichts kannst und das schwarze Schaf der Familie bist, dann ist dieser Zuspruch unserer Mitarbeiter eine wichtige und tolle Ermutigung.“
Tatsächlich: Die junge Mutter schaffte es. Einige Tage schaute Heike Gadtsch noch abends vorbei, um beim Einschlafen zu helfen, danach funktionierte die Hilfe vor allem über Telefon. Alles sah gut aus. Und dann kam der Corona-Winter mit all seinen Regeln und all seiner Isolation.
Pauls Mutter geriet erneut an ihre Grenzen, musste schließlich ins Krankenhaus. Wohin jetzt mit Paul? „Wir haben uns schließlich mit seiner Oma verständigt. Sie hat den Kleinen für ein paar Tage genommen“, sagt Heike Gadtsch. Bei der Familien-Vorgeschichte ein wahres Wunder. Aber es folgt dem obersten Prinzip der ambulanten Hilfen: Ein Kind sollte so lange wie es geht in der eigenen Familie bleiben. „Die Eltern zu stärken, ihnen Selbstvertrauen zu geben und sie vor ihren Kindern glänzen zu lassen, das ist unser größtes Anliegen“, so Gadtsch.
Doch nicht immer gelingt das vollständig. Als Pauls Mutter aus dem Krankenhaus zurückkehrte, hielt sie ihren Alltag als junge alleinerziehende Mutter ohne Schulabschluss und ohne Beruf nicht mehr lange durch. Sie möchte erwachsen werden, ihr Leben sortieren, einen Schulabschluss und eine Lehre machen, um dann für ihren Sohn wirklich da sein zu können, erklärte sie Heike Gadtsch. Um Paul könne sie sich während dieser Zeit aber nicht ausreichend kümmern.
Auch der Kontakt zu Großmutter, Tante und dem leiblichen Vater war nun abgebrochen. Erst als alle anderen Versuche gescheitert waren, wurde für Paul schließlich ein Platz in der Kinder-WG am Zoo gefunden. Seine Mutter packte seine Tasche und brachte ihn selbst dorthin, sie will ihn jede Woche mehrmals besuchen kommen.
Der kleine Paul wohnt jetzt zwar nicht mehr bei der eigenen Familie, aber er fühlt sich nicht verstoßen oder allein gelassen. „Der Junge musste nie das Gefühl haben: Ich habe etwas falsch gemacht oder ich bin schuld an der Situation“, erklärt Heike Gadtsch. Das kann für den weiteren Lebensweg des kleinen Schweriners entscheidend sein. „Wenn die Mutter es schafft, ihre Motivationsflamme zu halten, dann können die beiden es schaffen und wieder eine Familie werden“, sagt die Sozialpädagogin. Eine Garantie gäbe es natürlich nie. „Dieser Fall zeigt nachdrücklich, wie hochprofessionell unsere Kollegen und Kolleginnen in den Ambulanten Hilfen gefordert sind“, sagt Steffen Marquardt, Leiter der Hilfen zur Erziehung beim Awo-Kreisverband. „Verschiedene Szenarien vertrauensvoll mit der Mutter gemeinsam zu entwickeln, war Voraussetzung dafür, dass es dem Sohn jetzt in der KiWG am Zoo gut geht.“ Das neue Konzept dieser Wohngemeinschaft mit intensiver Elternarbeit auch vor Ort habe sich hervorragend bewährt. „Es ist ein wirklich schöner Ort für die kleinen Kinder geworden – ein Zuhause auf Zeit im professionellen Kontext!“
Professionelle Hilfe,
die Leben retten kannDer Fall Paul steht aber auch beispielhaft für etwas anderes: Die Corona-Pandemie hat den Bedarf an professioneller pädagogischer Unterstützung für Familien noch vergrößert. „Wir sehen hier eine Entwicklung, die auch bundesweit zu beobachten ist“, sagt Schwerins Jugenddezernent Andreas Ruhl. „Wobei wir in Schwerin schon sehr, sehr motivierte Pädagogen in unserem Allgemeinen Sozialen Dienst und bei den Schweriner Trägern haben. Sonst wäre diese Entwicklung auch nicht zu stemmen.“ Und Steffen Marquardt fügt hinzu: „Das kostet Geld – kann aber Kinderleben retten.“

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